Offener Brief an die Obersten Jagdbehörden der Länder
Von Wildmeister Dieter Bertram
Betr.: Jagdgesetze am Scheideweg zur Anarchie?
Sehr geehrte Damen und Herren,
90 Jahre bin ich, habe vor wenigen Monaten die „Eiserne Hochzeit“ gefeiert, was für sich kein Grund ist die Ministerien anzuschreiben, auch wenn der Bundespräsident in einem sehr persönlichen Brief gratulierte.
In großer Sorge wende ich mich an Sie, weil ich zu erkennen glaube, dass in vielen Bereichen Werte und Normen, tragende Säulen, „in guten und in schlechten Zeiten zusammen zu stehen“ (wie bei der Eheschließung vor dem Altar) abhandengekommen sind. Mein Leben habe ich Wild und Wald, Jagd und Jäger, als Berufsjäger in Pachtrevieren und Jagdleiter in einem Forstamt gewidmet, zuständig für den Bereich Wildstandsbewirtschaftung, Naturschutz, Ökologie. Der Bereich ist zwischen Jagd und Forst, Tierschutz und öffentlicher Meinung auseinander gedriftet, vergleichbar mit der Bundesregierung 2024, wo Parteien und Bürger sich nur noch wie feindliche Brüder gegenüber standen.
Auch wenn es unüblich geworden ist, lange Briefe zu schreiben, will ich den Versuch unternehmen dem Gesetzgeber „altersweise“ Ratschläge zu erteilen, wie Problembereiche beseitigt, zumindest eingeschränkt werden könnten.
Die Reviere haben in den letzten Jahrzehnten aus wirtschaftlichen Gründen Verkleinerungen erfahren, die nur noch eingeschränkt Aufgaben für den qualifizierten Jagdschutz vorsehen.
Der im § 23 festgelegte Inhalt des Jagdschutzes „Einhaltung der zum Schutz des Wildes und der Jagd erlassenen Vorschriften“ wird zunehmend, sich auf Hochsitzbau und Kirrung beschränkend, von zahlreichen Helfern (Jagderlaubnisscheininhaber, Hegebeitragszahler, Unterpächter) wahrgenommen, wie aus den Annoncenteilen der Jagdzeitungen entnommen werden kann.
Qualifizierter Jagdschutz ist häufig unerwünscht, weil man der Eigenkontrolle den Vorzug gibt.
Aus dieser Entwicklung hat sich für die Jagd ein nicht mehr übersehbarer Problembereich entwickelt, der nicht mit einer allgemeinen Jagdfeindlichkeit begründbar ist.
Öffentlichkeit, Tier- und Naturschutz haben lange die Schwachpunkte der Jagd entdeckt, die in mangelhafter Umsetzung bestehender Gesetze und Verordnungen begründet ist.
Das Land Rheinland-Pfalz hat als erstes Bundesland durch eine Änderung des Landesjagdgesetzes vom 27. Juni 2002 die Verwendung künstlicher Lichtquellen zur Bejagung des Schwarzwildes legalisiert.
Es war zu erwarten, dass diese in der Vergangenheit praktizierte Wilderermethode, sich auch ohne weitere Genehmigung auf andere Bundesländer ausdehnt und sich nicht nur auf Schwarzwild beschränkt.
Mit einem hohen Aufwand an Energie diskutieren derzeit Vertreter der Jägerschaft, des Tier- und Naturschutzes über die Novelle des Jagdgesetzes.
Unabhängig von den Thesen der unterschiedlichen Interessenvertreter wird in der Auseinandersetzung niemand als „Sieger“ hervorgehen.
Warum?
Keiner der Befürworter und kein Gegner einer Änderung des BJG erwähnt auch nur mit einem Wort, wie denn das neue oder das alte BJG eine bessere Umsetzung erfahren sollte.
Jedes Gesetz, ob Straßenverkehrsordnung oder Bürgerliches Gesetzbuch sind nur so gut, wie sie kontrolliert werden.
Das Interesse der Unteren Jagdbehörden an bestätigten Berufsjägern und Jagdaufsehern, die sie mit Dienstausweis und Dienstabzeichen ausgerüstet haben, ist nicht nur gering sondern eigentlich nicht vorhanden. Einladungen zu Besprechungen sind unüblich, dass Behördenvertreter auf Berufsjäger- oder Jagdaufseherversammlungen anwesend sind, ist eher die Ausnahme.
Die über viele Jahrzehnte andauernde Zerschlagung von Großrevieren ließen nicht nur den Stellenwert von hauptberuflichem Jagdschutzpersonal schwinden, die anspruchsvollen, zeitaufwendigen Aufgaben von Hege trifteten zunehmend in den Bereich von Hochsitzbau und dem Beschicken von Schwarzwildkirrungen ab.
Der nebenberufliche Jagdaufseher, der den Berufsjäger ablöste, wird zunehmend in den Kleinstrevieren mit Unterverpachtung und Pirschbezirken seinerseits abgelöst von dem Jäger, der einen Hegebeitrag zahlt, der nicht der Hege aber der Entlastung der Jagdkasse dient. Die Angebote sind umfangreich.
Der Verpachtung von Kleinstrevieren und Pirschbezirken ist Einhalt zu gebieten. Sie schaden dem Ansehen von Jagd und Jäger, verstoßen gegen das Jagdgesetz und den Auftrag zur Hege und bieten keine Betätigungsfelder für qualifizierten Jagdschutz. Der vermeintlich wirtschaftliche Vorteil rechnet sich langfristig kaufmännisch nicht und stellt eine Entwertung der Reviere dar.
Das Strategiepapier des „Förderkreis Jagdpolitik“ enthielt als wesentliche Aussage bereits länger als vor Jahrzehnten die Aussage: „Jägerisches Handeln muss sich vorrangig am Interesse der Wildtiere orientieren. Gehen wir diesen Weg nicht, so wird die Jagd in ihrer heutigen Form nicht erhalten bleiben. Die Gesellschaft wird dann ohne unser Zutun entscheiden, wie die Jagd von morgen aussehen soll“.
Diese Prognose ist eingetreten.
Aus Mitteln der Jagdabgabe (Aufkommen aus Jagdscheingebühren) kommen jährlich zweistellige Millionenbeträge auf, die zur Förderung des Jagdwesens wie Wildforschung, Verbandszeitungen, Jagdliches Brauchtum, Hundewesen usw. vergeben werden.
Eine Förderung des Jagdschutzes aus Mitteln der Jagdabgabe, d.h. des Personenkreises, der im Jagdgesetz erwähnt ist, findet in der Regel nicht statt.
Ausbildungen, Prüfungen, Weiterbildungen werden ausschließlich aus privaten Mitteln finanziert.
Damit nicht genug in der Beurteilung der Geringwertigkeit des Jagdschutzes. Wenn der bestätigte Jagdaufseher Dienstausweis, Dienstabzeichen von der Jagdbehörde erhalten und auf seine Pflichten hingewiesen wurde, können Jahre oder auch Jahrzehnte vergehen, ohne das von der Jagdbehörde noch einmal Verbindung zu den Jagdschutzorganen aufgenommen wird zu ihrer Arbeit und Aufgabenstellung.
Auch wenn die geschilderten Verhältnisse in weiten Kreisen der Jägerschaft und jagdlichen Organisationen verständlicherweise keine Beanstandung finden, sehen im Jagdschutz stehende Personen eine Besorgnis erregende Entwicklung.
Diskretion im Jagdschutz, Verschwiegenheit von Schweißhundeführern haben die Jagd in eine Sackgasse geführt weil die Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen keine Vereine sondern Aufsichtsbehörden mit den dafür vorgesehenen Aufsichtsorganen zuständig sind
Bestätigte Jagdaufseher haben kein einheitliches Sprachrohr, sie sind uneinheitlich organisiert, zum Teil fehlt ihnen eine Verbandszugehörigkeit.
In jeder Unteren Jagdbehörde der Kreise dagegen sind sämtliche bestätigten Jagdaufseher namentlich erfasst.
In diesen Dienststellen, bis hinauf zu den Oberen Jagdbehörden, möchten sie Anerkennung und Aufwertung erfahren.
Revierinhabern und Jagdschutz ist allerdings auch zu vermitteln, dass die Jagdaufsichtsorgane in der Verantwortung und Pflicht für die Umsetzung bestehender Gesetze und Verordnungen stehen.
Die nachfolgende Resolution wird von Jägern gekennzeichnet, die sich als Anwälte der Wildtiere verstehen.
1. Bestätigte Aufsichtsjäger sind von den Unteren Jagdbehörden zu monatlichen Dienstbesprechungen (mindestens einmal im Quartal) einzuladen um über Maßnahmen, Entwicklung, Konzepte und Erfolge zu berichten. Vertreter des Veterinäramtes und der Kreisjägerschaft sind dazu zu laden.
2. Besonders erfahrene Schwarzwild- und Raubwildjäger mit Kenntnis der Örtlichkeit werden auf Kreisebene, Hegeringebene Strategieprogramme unterbreiten, Bejagungskonzepte absprechen, weil die Impfung von Wildtieren in Tollwut- und Schweinepestgebieten kein Konzept dauerhaft für zukunftsorientierte Jagd sein darf.
3. Qualifiziertes Jagdschutzpersonal steht nicht nur in der allgemeinen Revierbetreuung sondern im besonderen Maße bei Überpopulationen von Schwarzwild und Beutegreifen in einer Schlüsselposition weil viele Kilometer entfernt wohnende Revierinhaber, Pirschbezirkinhaber und Jagdgäste dieser Aufgabe nur unzureichend gerecht werden können.
4. Jagdbehörden sind verstärkt in der Verantwortung für die von ihnen bestätigten Aufsichtsjäger einzubeziehen. Es gibt keinen Mangel an Wildforschung aus Wissenschaft und Praxis. Unsere Reviere haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem des im Bundesjagdgesetzes verankerten § 23 „Der Jagdschutz ist für die Einhaltung der zum Schutz des Wildes und der Jagd erlassenen Vorschriften zuständig“.
5. Revieren mit nachweisbar haupt- oder nebenberuflicher Revierbetreuung ist die Jagdsteuer zu erlassen. Die steuerliche Absetzbarkeit der Aufsichtsjäger ist unter dem Gesichtspunkt hoher Arbeitslosigkeit zu ermöglichen und zu fördern.
6. Die Jagdscheingebühr sowie die Hundesteuer ist den haupt- und nebenberuflichen Jagdschutzorganen zu erlassen.
7. Die Bestrebungen, um ein neues Bundesjagdgesetz sind dadurch entstanden, dass bestehende Gesetze nicht oder nicht ausreichend umgesetzt werden. Untere- und Obere Jagdbehörde sind verstärkt in die Verantwortung zu ziehen, dass bestehende Gesetze und Verordnungen keine Empfehlungen sondern durch die von den Jagdbehörden ernannten Aufsichtsorgane umzusetzen sind.
8. Über die Erfüllung des qualifizierten Jagdschutzes und damit über die Zukunft der Jagd bestimmt in wesentlichem Bereich die Jagdbehörde, deren Aufgabenstellung zu erweitern und mit einem Berufsjäger zu besetzen ist. Hierfür sind Mittel der Jagdabgabe zu beanspruchen, deren Höhe sich nach der Anzahl der bestätigten Jagdaufseher richtet.
9. Der Aufsichtsjäger ist in Deutschland durch uneinheitliche oder auch fehlende Organisationen gekennzeichnet. Aus dem Grunde wurde bislang keine einheitliche Interessenvertretung über die Erfüllung von Aufgaben und Zielen vorgetragen.
10. Um Verwechslungen auszuschließen, ist die Bejagung des weiblichen Schalenwildes in der Setz- und Aufzuchtzeit, wenn überhaupt erforderlich, dem Jagdschutz vorbehalten.
11. Der Verpachtung von Kleinstrevieren und Pirschbezirken ist Einhalt zu gebieten, weil anspruchsvolle, über das Wildtöten hinaus gehende Gesetze und Bestimmungen nicht mehr oder unzureichend erfüllt werden. Die Jagd ist angreifbar geworden.
12. Nicht Naturschutz, Tierschutz und öffentliche Meinung sind für die Jagd zuständig, sondern der Gesetzgeber, von dem der entsprechende Rahmen gefasst, für dessen Einhaltung er verantwortlich ist.
Im Jahr 2022 führte ich eine private, hochanspruchsvolle Veranstaltung im Kloster Steinfeld durch unter der Überschrift: „Auf der Suche nach der jagdlichen Moral“. Ist die Jagd noch auf dem richtigen Weg? Es reicht nicht aus, wenn sie nur dem Jäger gefällt, die Gesellschaft ihm die „Rote Karte“ zeigt.
Geben wir den Wildtieren eine Stimme, sie sind nicht illegal, so die Inhalte der Vorträge im Kloster Steinfeld Eifel.
Frau Ursula Heinen-Esser, Staatsministerin a.D. Nordrhein-Westfalen: „Ich gratuliere zu der gelungenen Konferenz und nehme Ihr Angebot, im Falle einer Wiederholung gerne an. Ich würde mich freuen, wenn wir im Austausch bleiben“. Die „Neuerkenntnisse“ von heute über Wild und Wald, Jagd und Jäger sind nicht selten die Irrtümer von morgen.
Das was zur Zeit in der Jagd gepflegt wird, den „Ureinwohnern“ die Lebensansprüche zu verweigern, wird langfristig die Jagd nicht erhalten, weil die Waidgerechtigkeit, der Tierschutz und die Jagdkultur so wenig verhandelbar sind wie die zehn Gebote.
Mit der Bitte um Nachdenklichkeit, Grüße aus der Eifel
Dieter Bertram
Advent 2024